magazin
thurgauische
naturforschende
gesellschaft
Der Schweizer Pasteur
aus dem Thurgau
Direktor, Botaniker, Rebbau-Pionier, TNG-Ehrenmitglied: 2025 jährt sich der Geburtstag von Hermann Müller-Thurgau zum 175. Mal (1850–1927).

Hannes Geisser
Biologe, Leiter Naturmuseum Thurgau
Dem Thurgau stets verbunden
Die Rebsorte Müller-Thurgau gilt als die erste durch Menschenhand gezüchtete Rebsorte der Welt. Sie trägt den Namen ihres Züchters, Hermann Müller-Thurgau. Am 21. Oktober 1850 im thurgauischen Tägerwilen geboren, gilt er mit Louis Pasteur als Mitbegründer der modernen Weinwissenschaft. Noch unter dem Namen Hermann Müller besucht er das Lehrerseminar Kreuzlingen und arbeitet ab 1869 für ein Jahr als Lehrer in Stein am Rhein. 1870–1872 studiert er am Polytechnikum Zürich und anschliessend in Würzburg (D). Bald schon trägt er den Zusatz Thurgau im Namen, vermutlich um Verwechslungen mit gleichnamigen Kollegen zu vermeiden. Dem Thurgau bleibt er als Ehrenmitglied der TNG, der er 1888 beitritt, bis ans Lebensende verbunden.
«Hermann Müller-Thurgau ist
bis an sein Lebensende
Ehrenmitglied der TNG.»
Hannes Geisser, Biologe, Leiter Naturmuseum Thurgau
Unermüdlicher Wissenschaftler
Hermann Müller-Thurgau promoviert 1874 mit einer Arbeit über «Die Sporenkeime und Zweigvorkeime der Laubmoose» – mit Bestnote. 1876 wird er Leiter des Instituts für Pflanzenphysiologie an der Preussischen Lehr- und Versuchsanstalt für Obst‑, Wein- und Gartenbau in Geisenheim (D). 1888 erfolgt die Ernennung zum Professor. Von 1891 bis 1924 ist er Direktor der Versuchsstation und Schule für Obst‑, Wein- und Gartenbau Wädenswil. Hermann Müller-Thurgau forscht über die Fruchtbarkeit von Reben, widmet sich Schadenserregern bei Reben, Obst- und Zierpflanzen und legt mit seinen Arbeiten den Grundstein der gärungsfreien Obst- und Traubenverwertung. Sein wissenschaftliches Werk umfasst über 300 Fachartikel und mehrere Bücher. 1920 verleiht ihm die Universität Bern die Ehrendoktorwürde.

Bild: Stiftung Müller-Thurgau, Wädenswil
Ein Irrtum findet weltweite Verbreitung
Die nach ihm benannte Rebsorte kündigt er noch 1882 an der Lehranstalt in Geisenheim als Neuzüchtung an. Bei seiner Berufung nach Wädenswil nimmt er die Sämlinge mit, wo er sie erfolgreich weiter selektiert. Die Sorte findet weltweite Verbreitung zur Herstellung von Weisswein. Davon zeugen nicht zuletzt die 27 Synonyme, die im offiziellen Vitis International Variety Catalogue VIVC für die Sorte aufgelistet sind. Müller-Thurgau-Reben stellen keine grossen Ansprüche an Boden und Klima. Ihr Reifegrad ist eher früh. Zudem liefern sie hohe Erträge, was zeitweise aber auch zur Massenproduktion von Wein mit zweifelhafter Qualität geführt hat. Moderne Weinbereitungsmethoden schöpfen das Potenzial der Trauben besser aus. Bis heute steht die Müller-Thurgau- Rebe im Fokus der Forschung, um ihr Potenzial weiter zu optimieren.
««Seine Rebsorte trägt den Namen unseres Kantons in die Welt.»
Hannes Geisser, Biologe, Leiter Naturmuseum Thurgau
Als «Mutter» der Züchtung wird lange Zeit die Rebsorte Riesling und als «Vater» die Rebsorte Silvaner angenommen. Deshalb wird sie über Jahrzehnte Riesling × Silvaner genannt. Heute weiss man, dass dies falsch ist. Mit gentechnischen Methoden stellt ein österreichisches Forscherteam 1998 fest, dass es sich um eine Kreuzung der Sorten Riesling (Mutter) und Madeleine Royale (Vater) handelt. Die Bezeichnung Riesling × Silvaner darf seither nicht mehr verwendet werden, weil das x für die Kreuzung der beiden Sorten steht. Die Schreibweise mit Bindestrich – Riesling- Silvaner – ist jedoch weiter erlaubt. Wie genau es zur Verwechslung gekommen ist, bleibt unklar. Schon Hermann Müller-Thurgau jedoch hegte einen Verdacht, gelang es doch weder ihm noch anderen Forschenden, die Kreuzung später zu wiederholen.

Das Geburtshaus Müller-Thurgaus steht noch heute in Tägerwilen. Bild: Joachim Kohler
Von der Apfelkönigin zum Müller-Thurgau-König?
Äpfel und die Familie Napoleon sind Thurgauer Aushängeschilder, die auch touristisch stark vermarktet werden. Nicht aber die weltweit bekannte Rebsorte Müller- Thurgau. Eigentlich erstaunlich, symbolisiert sie doch ein aussergewöhnliches, spannendes Kapitel Thurgauer Geschichte: vom Bäckerssohn aus Tägerwilen, der zum Mitbegründer des modernen Weinbaus wurde und eine weltweit verbreitete Reben-Neuzüchtung schuf, die aufgrund eines Versehens heute seinen Namen – und den seines Geburtskantons – trägt. Gute Gründe also, Leben und Wirken Hermann Müller-Thurgaus anlässlich seines 175. Geburtstages in Erinnerung zu rufen. Und vielleicht gibt es dereinst im Kanton nebst der Thurgauer Apfelkönigin ja einen Müller-Thurgau-König.
Der Verein Bodenseegärten stellt das Jahr 2025 unter das Motto «Gärten und Wein».
Leben und Wirken Hermann Müller-Thurgaus sind Thema von Ausstellungen, Führungen, Vorträgen und Weinproben.
Podcast «Hermann Müller-Thurgau und sein Wein fürs Volk» des Norddeutschen Rundfunks NDR
Video «So entstehen die Traubensorten der Zukunft»